Dieser Artikel der Covid-19-Beratung informiert über das Spike-Protein bei der Herstellung von Impfstoffen gegen Covid-19 und über die Antikörperspiegelmessungen bei Durchbruchinfektionen.
Dieser Beitrag ist Teil der Covid-19-Beratung für Allgemeinmediziner:innen. Anhand neuester Informationen der internationalen wissenschaftlichen Institute und aktueller Studienergebnisse beantwortet das Forschungsteam des Instituts laufende Fragen rund um das Coronavirus. Die Antworten werden auf dem Blog veröffentlicht und stehen allen Interessierten zu Verfügung.
Gibt es bei den Impfstoffen gegen das Coronavirus den Ansatz das Spike-Protein des Wildtyp-Coronavirus als Antigen auszutauschen oder ist dieses noch immer valide?
Weltweit sind mit heutigem Stand 24 verschiedene Impfstoffe für SARS-CoV-2 zugelassen. In 61 Ländern werden zudem 495 Zulassungsstudien für 155 weitere Impfstoffe, die sogenannten Kandidatenimpfstoffe, durchgeführt, die aktuell in klinischer Entwicklung stehen.
Zwölf von 54 Impfstoffen, die in der Phase III der klinischen Entwicklung sind, verwenden ganze Viren (abgeschwächt oder tot). Diese sind auf die Induktion der Antikörperbildung gegen eine Vielzahl unterschiedlicher viraler Antigene ausgerichtet. Bei den Phase-II-Studien sind es 2 von 58 und 4 von 35 sind es bei den Phase-I-Studien. Die meisten dieser Kandidatenimpfstoffe sind gegen das Spike-Protein der Coronaviren gerichtet.
Das Spike-Protein wird von SARS-CoV-2, aber auch von anderen Coronaviren, für den Befall von Zellen mit dem Angiotensin-Conversionsenzym-2 als Rezeptor verwendet, das an der Oberfläche von vielen verschiedenen Zellen zu finden ist. Dieses Spike-Protein kann durch neutralisierende Antikörper gehemmt werden, die mit der Impfung induziert werden. Die verschiedenen Herstellungsmethoden (Plattformen) für die Impfstoffe erreichen diese Induktion auf unterschiedlichem Weg. Entsprechend verschieden sind Art und Menge der schützenden Antikörper und weiterer ausgelöster immunologischer Schutzmechanismen.
Bei der Impfung nur mit Virusteilen, nicht mit den ganzen Viren, ist vorwiegend die Immunreaktion gegen das Spike-Protein beabsichtigt. Dafür werden entweder das ganze oder auch nur bestimmte, für die Virulenz wichtige, Teile des Spike-Proteins verwendet. Bis dato aufgetretene Virusmutationen haben die Wirksamkeit der bei uns zugelassenen Impfstoffe gegen das Spike-Protein im Vergleich zum Wildtyp-Virus nur unwesentlich beeinträchtigt. Für die Delta-Variante wurde lediglich eine schwächere Wirksamkeit bei der Ansteckung, nicht jedoch für schwere Erkrankung oder Tod festgestellt. Mit weiteren Varianten und Fluchtmutationen ist zu rechnen und es kann nicht vorhergesagt werden, wie lange und wie gut die aktuell verfügbaren Impfstoffe wirksam bleiben. Sollte es tatsächlich relevante Wirksamkeitseinbußen geben, wird wohl die Zeit der inaktivierten Impfstoffe gekommen sein, mit deren Entwicklung parallel zu den Spike-Protein-gezielten Plattformen begonnen worden ist, die aber länger dauert.
Wurde bei Personen mit Durchbruchsinfektionen der Antikörperspiegel gegen das Spike-Protein gemessen und gibt es dabei einen Cut-off-Wert?
Serologische Antikörpertests erfassen nur einen (kleinen) Teil der gegen das Virus gerichteten humoralen Abwehr. Welche Antikörper Infektionsschutz bedeuten, ist nach wie vor unklar. Die humorale Immunisierung wird besser mit den aufwendigeren Neutralisationstests quantifiziert. Zwar wird von manchen Testherstellern behauptet, dass den Neutralisationstests ähnliche Serologie-Befunde erhoben werden könnten, was jedoch unbewiesen ist. Eigentliche Neutralisationstests stehen für die klinische Routine nicht zur Verfügung. Dazu kommt, dass bei der Impfung gebildete Gedächtniszellen und andere zelluläre Immunmechanismen offensichtlich eine wichtigere Rolle für den Infektionsschutz spielen, als die Spike-Protein-fokussierte Impfstoffforschung anfangs thematisiert hat. Mechanismen, die ebenfalls nicht mit Routinetests erfasst werden können.
Vom Ergebnis eines Antikörpertests abhängige individuelle Impfempfehlungen werden nur bei immunsupprimierten Personen gemacht, wenn es bei der Grundimmunisierung eine unzureichende Antikörperproduktion gegeben hat. Wenn diese Personen einen weiteren Stich bekommen, wird dann auch nicht von Auffrischung oder Booster gesprochen, weil es sich ja noch um die Grundimmunisierung handelt.
Ansonsten werden Impffragen außerhalb von Studien ohne serologische Testergebnisse beantwortet. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat im vergangenen Frühjahr in einer Mitteilung an die Öffentlichkeit und die Kliniker von Antikörpertests als Do-it-yourself-Immunitätstest abgeraten. Diese Position ist im September 2021 bestätigt worden.
In einer kürzlich durchgeführten Studie über Durchbruchsinfektionen bei 1.497 vollständig geimpften Personen des Gesundheitspersonals in Israel hatten 39 Mitarbeiter:innen, die sich nach der zweiten Dosis des Impfstoffs BNT162b2 (Pfizer-BioNTech) infizierten, niedrigere neutralisierende Antikörperwerte als ihre nicht infizierten Kolleg:innen. Obwohl Antikörperspiegel mit Schutz in Verbindung gebracht wurden, konnten die Forscher:innen keinen Schwellenwert bestimmen. Keiner, der trotz nachweisbarer Antikörper aufgetretenen Durchbruchinfektionsfälle, war schwerwiegend. Solche Beobachtungen stehen unter anderem hinter den behördlichen Stellungnahmen, wie jene der oben angeführten FDA.
FAZIT
Ansätze, das Spike-Protein oder dessen für die Impfstoffherstellung relevanten Teile zu verändern, gibt es und können, wenn nötig, in absehbarer Zeit (ähnlich schnell, wie bei den bisher zugelassenen Impfstoffen) zur Herstellung von Nachfolge-Impfstoffen verwendet werden. Derzeit besteht dafür kein Anlass. Das Spike-Protein ist nach wie vor valide. Eine Vielzahl von neuen Impfstoffen ist in Entwicklung mit dem Potential, auch gegen Fluchtmutanten wirksam zu sein. Dabei könnte den nicht nur gegen das Spike-Protein gerichteten Impfstoffen (mit inaktivierten Viren) eine besondere Rolle zukommen.
Serologische Antikörperspiegelmessungen wurden bei Durchbruchinfektionen gemacht. Ein Grenzwert für unzureichenden Immunschutz konnte nicht bestimmt werden.
Für das Institut Christian Wiedermann, Internist und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeinmedizin.
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