Die Versorgung von chronisch Kranken kann verbessert werden: Eine Südtiroler Studie stößt auf internationales Interesse.
Im Jahr 2019 litten 30,5 Prozent der Südtiroler an mindestens einer chronischen Krankheit. Wird nur die ältere Bevölkerung ab 65 Jahren berücksichtigt, steigt die Zahl auf 78 Prozent. Die Dokumentation der Patientenversorgung und deren Qualitätssicherung in Südtirols Hausarztpraxen kann optimiert werden, das hat ein Projekt zur Verbesserung der Versorgungsqualität chronisch Kranker ergeben. Die Studie wurde von Allgemeinmedizinern und Wissenschaftlern aus Südtirol und Salzburg durchgeführt. Im November 2020 wurden deren Ergebnisse in zwei internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht.
Lässt sich die hausärztliche Versorgung chronisch Kranker durch gezielte Interventionen beeinflussen? Wie wirkt sich Optimierung von Diagnostik, Therapie oder Langzeitbetreuung auf die Zufriedenheit und das Lebensgefühl der Patienten aus? Das Institut für Allgemeinmedizin der Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe „Claudiana“ hat kürzlich zwei wissenschaftliche Publikationen zum Thema veröffentlicht. Die Artikel in den Fachzeitschriften Health and Social Care in the Community am 5. November 2020 sowie Family Practice Oxford am 13. November wurden federführend von Dr. Angelika Mahlknecht verfasst.
Die Zahl chronisch Kranker steigt europaweit an. In Südtirol war 2019 fast jeder Dritte davon betroffen, trotzdem gab es bisher kaum Programme zur flächendeckenden Qualitätssicherung dieser Patienten. Das veranlasste die Südtiroler Akademie für Allgemeinmedizin, das Institut für Allgemeinmedizin an der Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe „Claudiana“ sowie das Institut für Allgemein-, Familien- und Präventivmedizin an der Paracelsus Medizinischen Universität Salzburg, die Versorgungsqualität chronisch Kranker zu messen und zu optimieren.
Am Interreg-Projekt „Improvement of Quality by Benchmarking“ – kurz „IQuaB“ – beteiligten sich zwischen 2012 und 2014 36 Südtiroler Hausärzte. Die Qualität ihrer Patientenversorgung wurde dabei durch Qualitätsindikatoren (Z.B. die Kontrolle des Blutzuckerwertes bei einem Diabetiker) gemessen. Die teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzte erhielten eine Rückmeldung und konnten ihre Ergebnisse anonym mit denen ihrer Kolleginnen und Kollegen vergleichen. „Die Qualitätsindikatoren haben sich während der zweijährigen Studienlaufzeit signifikant gesteigert“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Studie Dr. Angelika Mahlknecht. Die verwendete Studienmethodik könne für zukünftige Qualitätsprogramme als Modell dienen, da sie sich als effektiv erwiesen hat und für die Hausärzte gut anwendbar sei. „Das zeigt, dass die Versorgungsqualität in Hausarztpraxen grundsätzlich gesteigert werden kann“, erklärt Mahlknecht.
Die Maßnahmen sollen sich positiv auf die Behandlung chronisch Kranker auswirken, deshalb wurden in beiden untersuchten Regionen auch chronisch Kranke befragt. Diese Befragung hat zu zwei interessanten Erkenntnissen geführt:
So war die Zufriedenheit der Patienten mit ihrem Hausarzt bereits zu Beginn der Studie hoch und das in beiden untersuchten Regionen. „Rund 75 Prozent der Befragten gaben an, mit ihrem Hausarzt ,sehr zufrieden’ zu sein. In Salzburg war die Patientenzufriedenheit noch signifikant höher als in Südtirol, wobei die unterschiedliche Organisation der beiden Gesundheitssysteme (Österreich versus Italien) hierbei eine Rolle spielen könnte“, erklärt Mahlknecht. Obwohl 80 Prozent der Befragten über mindestens eine leichte Beeinträchtigung berichteten, war auch ihre Lebensqualität relativ hoch.
Die zweite überraschende Erkenntnis der Befragung war allerdings, dass es trotz einer optimierten Versorgung durch den Hausarzt zu keiner nennenswerten Verbesserung der Zufriedenheit und Lebensqualität der Patientinnen und Patienten gekommen ist. „Die Studie zeigt, dass keine Korrelation zwischen der Qualität der hausärztlichen Versorgung und der Patientenzufriedenheit und der Lebensqualität besteht. Wir folgern daraus, dass Zufriedenheit und Lebensqualität von Patienten nicht in erster Linie von einer leitliniengemäßen Versorgung durch den Hausarzt abhängen. Für die Patienten können Faktoren wie die Erreichbarkeit des Arztes, die Wartezeit und die Beziehung zum Arzt ausschlaggebender sein als die medizinische Qualität einer Therapie“, erklärt Angelika Mahlknecht.
Bei zukünftigen Qualitätssicherungsprogrammen sollte deshalb nicht nur die medizinische Dimension, sondern auch die Sicht der Patienten berücksichtigt werden, raten die Autoren der Studie.