2019 hat das neu gegründete Institut für Allgemeinmedizin und Public Health die Ausbildung der Allgemeinmediziner:innen übernommen. Zudem forscht das Institut in den Bereichen chronische Erkrankungen, Gesundheit im Alter und Gesundheitskompetenz. Der Institutspräsident spricht darüber, wie sich die Arbeit des Instituts auf die medizinische Grundversorgung Südtirols auswirken kann.
Herr Dr. Engl, welchen Beitrag leistet das Institut für Allgemeinmedizin und Public Health für die medizinische Grundversorgung in Südtirol?
Dr. Engl: Die Allgemeinmedizin ist die Basis der ärztlichen Betreuung der Bevölkerung. Dabei sind ein biopsychosozialer Problemlösungsansatz und die Förderung der Gesundheitskompetenz der Patienten:innen essentiell. Die Ärztin und der Arzt für Allgemeinmedizin sind direkte und in der Regel erste Ansprechpartner:innen für alle Gesundheitsprobleme. Die häufig vertrauensvolle und longitudinale Arzt-Patienten-Beziehung ist ein Alleinstellungsmerkmal. Diese Charakteristika versucht das Institut für Allgemeinmedizin im Rahmen des Ausbildungslehrgangs, der Versorgungsforschung und der Sensibilisierung der Bevölkerung in Bezug auf eigene Ressourcen zu vertiefen und zu verbreiten, um die praktische medizinische Grundversorgung zu erhalten und zu verbessern.
Länder mit akademisch, sprich universitär verankerter Allgemeinmedizin, haben eine bessere allgemeinmedizinische Patientenversorgung.
Kann das Institut als Brücke zwischen der Hochschulmedizin und der Hausarztpraxis verstanden werden?
Dr. Engl: Wissenschaftliche Studien bilden häufig nur einen Teil der praktischen Versorgungsrealität ab. Deshalb wird international immer stärker die Versorgungs-forschung gefördert. Bei dieser – im europäischen Raum jungen – Disziplin geht es um die Umsetzung von wissenschaftlich erprobten Diagnose- und Behandlungsmethoden in die Praxis.
Am Beispiel der Behandlung der älteren Patienten:innen mit häufig mehreren chronischen Krankheiten wird dies besonders deutlich: Es gibt viele Studienergebnisse für einzelne Krankheiten und dies nur bis zu einem bestimmten Alter, aber wenige für die Multimorbididität, die Mehrfacherkrankung. Länder mit akademisch, sprich universitär verankerter Allgemeinmedizin, haben eine bessere allgemeinmedizinische Patientenversorgung.
Seit seiner Gründung 2019 ist das Institut bei der Landesfachhochschule für Gesundheitsberufe Claudiana angesiedelt, wie wird das Institut finanziert?
Dr. Engl: Das Landesressort für Gesundheit stellt dem Institut ein Budget zur Verfügung.
Das Institut für Allgemeinmedizin und Public Health, angesiedelt bei der Claudiana, steckt noch in den Kinderschuhen, den Ausbildungslehrgang für Allgemeinmediziner:innen gibt es hingegen schon seit über 25 Jahren. Wieso wurde er damals ins Leben gerufen?
Dr. Engl: Wir haben die Hauptaufgaben, also den Ausbildungslehrgang und die Forschung, von der Akademie für Allgemeinmedizin Sakam übernommen. Der Ausbildungslehrgang für Allgemeinmedizin wurde in Italien aufgrund einer EU-Vorgabe eingeführt, nachdem es vorher praktisch keine verpflichtende, strukturierte Spezialisierung für das Fach Allgemeinmedizin gab.
Wer entscheidet über die Forschungsprojekte des Instituts?
Dr. Engl: Forschungsschwerpunkte leiten sich aus den wichtigsten Arbeitsschwerpunkten und gesellschaftlichen Aufgaben der Allgemeinmedizin ab. Derzeit sind das:
- Betreuung von älteren Menschen (Demenz, Palliativmedizin, Fragilität).
- Betreuung von Patienten:innen mit chronischen Erkrankungen.
- Förderung der Gesundheitskompetenz
Eine wissenschaftlich gesicherte und verständliche Gesundheitsinformation ist die Basis für die Gesundheitskompetenz und damit auch für eine angemessene Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen. Dies wird besonders in der Pandemie-Krise besonders evident.
Würden Sie sagen, dass die allgemeinmedizinische Forschung und Wissenschaft ausschlaggebend sind für eine gute medizinische Grundversorgung in Südtirol?
Dr. Engl: Ausschlaggebend ist vielleicht zu viel gesagt. Die Versorgungsforschung in der Allgemeinmedizin kann die Qualität der Patientenversorgung erhalten und verbessern. Zudem kann sie eine wichtige Orientierungshilfe und Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen sein.
Mit dem Gesundheitsblog geht das Institut nun neue Wege und sucht die Aufmerksamkeit der Bürger:innen. Kann eine umfangreiche Gesundheitsinformation für Patienten und Patientinnen die medizinische Grundversorgung beeinflussen?
Dr. Engl: Wir wissen aufgrund internationaler und eigenen Untersuchungen, dass durchschnittlich 80 Prozent der Bürger:innen bei Gesundheitsproblemen nicht gleich einen Arzt oder Ärztin konsultieren, sondern entweder zuwarten, eine Selbsttherapie versuchen oder Angehörige und mittlerweile sehr häufig das Internet befragen.
Der Dschungel an Informationen im Netz führt nicht selten zu Überforderung, Falschinformation und Verunsicherung. Eine wissenschaftlich gesicherte und verständliche Gesundheitsinformation ist die Basis für die Gesundheitskompetenz und damit auch für eine angemessene Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen. Dies wird besonders in der Pandemie-Krise besonders evident.